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Pionier der Leichtigkeit

Leichtigkeit lernen
zum 150. Geburtstag
von Frederik Matthias Alexander
dem Begründer der Alexander-Technik
von Evelyn Plank

Man schrieb das  Jahr 1869, im windgepeitschten abgelegenen Ort Wynyard an der Tasmanischen Nordwestküste - einer australischen Insel. Seit 1830 wurden unliebsame Engländer an dieses andere Ende der Welt abgeschoben, wo sie  sich als Pioniere gezwungen sahen, in weiten Teilen dieser noch unerforschten Insel um ihre Existenz zu kämpfen.

In diese Landschaft wurde am 20.1.1869 Frederik Matthias Alexander geboren. Der älteste von acht Geschwistern kam zu früh zur Welt, und sein Überleben beruhte auf der Entschlossenheit seiner Mutter Betsy Alexander.
20 Jahre später sollte er auf das australische Festland wechseln, von dort führte ihn die Entwicklung seiner Technik unaufhaltsam weiter nach England und Amerika.
Die Leistung seiner Pionierarbeit beruhte darin, aus einer persönlichen Notwendigkeit heraus die innere natürliche Ausrichtung des Körpers wieder zu finden, die jedem Menschen innewohnt - wenn wir aufhören zu stören. Eine Selbsthilfe zur  Wiedererlangung der Leichtigkeit.

Erste Lebensjahre


Schon früh entwickelte er sich zu einem reifen, einfühlsamen und aufmerksamen Kind, blieb allerdings aufgrund seiner kränklichen Natur oft dem Unterricht fern, verbrachte viel Zeit auf der Pferdekoppel und in der freien Natur. So galt er bald als schwieriger Schüler.
In Robert Robertson, einem schottischen Lehrer, fand er jedoch einen persönlichen Förderer, der in ihm die Leidenschaft zur Literatur, im besonderen für Shakespeare erweckte. Bereits mit 15 Jahren machte Mr. Robertson den Schüler Frederick Matthias zu seinem Assistenten und schien enttäuscht,  dass dieser mit 17 Jahren eine gutbezahlte Stelle als Sekretär in einem nahegelegenen Bergbauunternehmen annahm.

Seinem Interesse für die Melodramatik des Theaters aber konnte diese Arbeit nichts anhaben. Weiterhin schwärmte er für Shakespeare und erfreute dabei die Bergleute mit der Rezitation von Sonetten und Balladen, spielte in einer Theateramateurgruppe, lernte Geige und widmte sich seiner Leidenschaft für Pferderennen.
Im Jahre 1890  schaffte er den Sprung auf das australische Festland, nahm Schauspielunterricht und begann damit, öffentliche Lesungen zu geben.
Schon ein Jahr später berichteten die Zeitungen positiv über seine Auftritte in Melbourne und anderen Städten.

Der Umbruch


Gleichzeitig plagten ihn aber immer wieder Stimmbeschwerden. Er litt unter Heiserkeit. Weder die Ratschläge von Sprechlehrern noch Ärzte brachten die erwünschte Besserung.
Alexander beschloss, den Ursachen seiner Beschwerden selbst auf den Grund zu gehen. Er begann, sich systematisch und minutiös (mithilfe von Spiegeln) selbst zu beobachten, um herauszufinden, was er denn eigentlich tat um zu sprechen. Dabei bemerkte er seine Angewohnheit, beim Rezitieren den Kopf in den Nacken zu ziehen, dadurch Druck auf den Kehlkopf auszuüben und hörbar Luft einzusaugen.
Nach dieser intensiven Selbsterforschung fand er einen Weg, mit dieser schlechten Gewohnheit (den Kopf nach hinten zu ziehen) aufzuhören. Sein Kopf fand wieder zu freierem, beweglicherem Kontakt mit der ganzen Wirbelsäule, wodurch sein ganzer Rumpf zu mehr Länge, Weite und Tiefe fand, was ihm wiederum Erleichterung beim Atmen verschaffte und die Funktionalität seiner Stimmer wieder herstellte.
Dass er damit eine grundlegende somatopädagogische Methode entwickelt hatte, war ihm zunächst nicht bewußt. Ihm genügte, dass seine Heiserkeit abnahm und seine Stimmprobleme verschwanden.
Es sollten noch Jahre vergehen, bis das Verfahren schriftlich festgehalten wurde. Erst 1910 erschienen die ersten Aufzeichnungen in Buchform :
„The Man’s Supreme Inheritance“ - „Das höchste Erbe des Menschen“.
Seine Genesung, seine Beschwerdefreiheit war nicht mehr zu übersehen, und führte dazu, dass immer mehr Menschen ihn um Hilfe baten.

„Ich stellte fest, daß ein Mensch, der gelernt hat in seinen gewohnheitsmäßigen Reaktionen auch nur einigermaßen innezuhalten, seinen Selbstgebrauch und sein Verhalten in sehr kurzer Zeit bemerkenswert verändern und Verbesserungen erzielen kann, die man normalerweise für unmöglich hält.“
(F.M. Alexander)

Neben seinen Rezitationen begann er auch mit „Unterrichtsstunden“. Er kündigte seinen Stimmunterricht in der Presse und auf Flugblättern an, mit der Behauptung, die Stimme zu entwickeln, Stottern und Halsschmerzen zu „heilen“. Positive Zeugenberichte seiner Schüler mehrten sich. Vor allem Geistliche lobten eine Kräftigung der Stimme und die positive Auswirkung auf den gesamten Gesundheitszustand. Er widmete sich nun hauptsächlich dem Unterricht als Gesanglehrer, seiner Praxis und gelegentlichen Vorträgen.
Alsbald nannte man ihn in Australien „The breathing man“.

Im Jahre 1902 beeindruckte sein Ansatz den damals führenden Chirurgen Stewart McKay in Sydney, der ihn begeistert weiter empfahl und zu einem  engen Freund wurde. Er ermutigte Alexander, nach London zu gehen, und empfahl ihn führenden Ärzten.

Alexander war privat verschuldet, doch durch eine gewonnene Pferdewette gelang es ihm, einige seiner Gläubiger zu bezahlen, Familienmitglieder zu unterstützen und eine Schiffs-Passage nach England zu kaufen. Im April 1904 war es für ihn soweit. Er bestieg ein Schiff Richtung Europa und sollte nicht mehr nach Australien zurückkehren.
Er verabschiedete sich von seinem Freundeskreis - allen voran dem Komponisten Robert Young und dessen Frau Edith, einer aufstrebenden Schauspielerin, die zu seinen langjährigsten Freunden zählten. Mit beiden verband ihn ein tiefe emotionale Beziehung, auch körperlich  -  und Jahre später würde ihm Edith nach England folgen. Briefe ihres kränkelnden Ehemannes legen nahe, dass er sie dazu ermutigte, und Alexander aufforderte, sich um sie zu kümmern und ihr treu zu bleiben. Nach Robert Youngs Tod 1914 heiratete F.M. Alexander dessen Witwe Edith.


Aufbruch


Mit den besten Empfehlungsschreiben namhafter australischer Ärzte erreichte er England und gewann schnell wichtige Anhänger in der Londoner Ärzteschaft. So manche Größe der Londoner Kunstszene interessierte sich für seine Entdeckungen von Atmung und Stimme, stressgeplagte Politiker und Geschäftsleute nahmen bei ihm Unterricht, selbst der Erzbischof von Canterbury. Berühmte Sänger, die ihre Stimme wiederfanden, bestätigten als hörbares Beispiel den Erfolg seiner Methode.  

Obwohl Alexander tendenziell mehr Schüler und Unterstützer als Freundschaften hatte, pflegte er stets auch sein Privatleben, hatte eine Vorliebe für die schönen Dinge des Lebens, ritt täglich auf seinem Pferd und war gern gesehener Gast bei Pferderennen.

Seine Theorie - er nannte sie anfänglich “The work“ - hatte den Praxistest bestanden und boomte. So blieben Kritik und Skepsis nicht aus. Vorhaltungen, dass ihm medizinisches Wissen fehle, er ein ungeübter Amateur und Quacksalber sei, setzten ihm Zeit seines Lebens schwer zu.

Er antwortete mit einer Reihe von Flugschriften, um seine Entdeckung zu erläutern und seine Fälle zu beschreiben. Alexander war kein guter und klarer Schriftsteller, aber diese schriftlichen Ausführungen zeigen die Entwicklung seiner Theorien und die erste Erwähnung wichtiger Begriffe, die er 1910 in seinem ersten Buch zusammenfasste:
„The Man’s Supreme Inheritance“  - „Das höchste Erbe des Menschen“
Diese Ausführungen sollten zu den Prinzipien der Alexander-Technik werden.

„Alexander etablierte nicht nur die Anfänge einer weitreichenden Wissenschaft der scheinbar freiwilligen Bewegungen, die wir als Reflexe bezeichnen, sondern auch eine Technik der Selbstbestimmung und Selbstkontrolle, die eine wesentliche Ergänzung zu unseren sehr knappen Ressourcen in der persönlichen Bildung darstellt.“
(Georg Bernhard Shaw, Nobelpreisträger für Literatur 1925)

Im September 1914 zog er in die USA und praktizierte die kommenden zehn Jahre in New York.
Zu seinen prominentesten Schülern gehörte der amerikanische Philosoph John Dewey. Bei seinem ersten Unterricht war dieser schon über 50 Jahre alt, blieb 35 Jahre lang sein Schüler und verfasste für drei Bücher von Alexander die Einleitungen.
Unterstützt von einem engen Kreis an langjährigen Schülern, Assistenten und engen Familienmitgliedern, u.a. Ethel Webb, Irene Tasker, seinem Bruder Albert Redden und seiner Schwester Amy, verbreitete sich seine Methode auf beiden Kontinenten. Allen voran konnte Albert Redden ein lebendiges Zeugnis ablegen für „die Arbeit“ seines Bruders Frederik. Er stürzte 1918 vom Pferd und erlitt so schwere Verletzungen, dass Ärzte ihm prognostizierten, er könne nie wieder gehen. Mit der Hilfe Frederiks gelang es ihm, sie zu widerlegen. Den Rest seines Lebens benutzte er zur Unterstützung einen Stock und lehrte vorwiegend „das Sitzen“.

„Wenn wir uns ernsthaft danach sehnen, menschliche Wesen in eine wünschenswerte Richtung zu verändern, dann gibt es kein besseres System als diese Technik.“
(Aldous Huxley, britischer Schriftsteller)

Alexanders Praxis in Amerika endete im Frühjahr 1924. Zurückgekehrt nach London konnte er es sich leisten, dort zu leben, wo er sich am glücklichsten fühlte. Er kaufte 1925 ein Bauernhaus in der Grafschaft Kent, wo er die Wochenenden mit seiner Frau Edtih und seiner Adoptivtochter Peggy verbrachte.
Alexanders charismatische Persönlichkeit eroberte des öfteren die Herzen der Frauen. Einerseits wuchs seine Anhängerschaft durch seine Arbeit, andererseits überzeugten sein Charme und seine Lebensoffenheit.
In die Nähe seines Landsitzes zog auch Glady Vicary mit dem Spitznamen „Jack“. Sie verließ ihren Mann, um in Alexanders Nähe in Penhill einen Laden zu eröffnen. Beider Beziehung entwickelte sich zu einer Affäre, die zur Geburt eines Sohns führte, John Vicary. Er wurde im Juni 1931 in den USA geboren - wohl aus Gründen der Diskretion und Seriosität war Jack Vicary dorthin gereist und behauptete, John dort adoptiert zu haben.

Durchbruch


Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten sich in Westeuropa neue spezielle Qualitäten im Bereich der Pädagogik wie auch bei bewegungsorientierten Verfahren - die Beschäftigung mit der eigenen Individualität.
Alexanders Arbeit fiel daher in vielerlei Hinsicht auf fruchtbaren Boden.
Die „F. Matthias Alexander Trust Fund School“ genannt „Kleine Schule“ wurde 1924 Teil einer pädagogischen Reformbewegung und beruhte auf den Prinzipien der Alexander-Technik. Die „kleinen Schüler“ sollten mehr Selbstvertrauen aufbauen, das „Lernen lernen“ und natürliche Aufmerksamkeitsspannen entwickeln können. Inspirierende Denkansätze gelangen dabei seiner Assistentin Irene Tasker und Ethel Webb - beide  ausgebildete Montessori-Lehrerinnen. Der zweite Weltkrieg beendete dieses Experiment und die meisten Schüler wurden nach Amerika evakuiert.
Die „Kleine Schule“ wurde danach nie wieder aufgebaut.

Erst mit dem Grundschulmodell „Educare Small School“ wurde 1997 in London wieder ein Schulmodell gestartet, das die Alexander-Technik in den Schulalltag integriert.

Im September 1931 startete am Ashley Place in London der erste dreijährige formelle Lehrgang für die „Alexander-Technik“ .
Während des Krieges verbrachte Alexander drei Jahre in den USA, kehrte aber beretis 1943 wieder nach London zurück, da die meisten seiner Lehrer zum Kriegsdienst eingezogen wurden - und nicht zuletzt aus Besorgnis, seine Technik könne verlorengehen.

Immer wieder sah er sich gezwungen, die Wirksamkeit seiner Methode gegenüber der Wissenschaft zu beweisen, wodurch beieindruckende Publikationen im British Journal oder der American Medical Association entstanden, die wiederum die wissenschaftliche Diskussion anfeuerten.
F.M. Alexander wünschte sich stets mehr Einsicht und Konsequenzen aus seinen Entdeckungen, seinen Prinzipien:

Der Bedeutung des „Innehaltens“, das grundsätzlich ermöglicht, dass man das Falsche sein lässt, damit das Richtige geschehen kann. (Inhibition)

Der Tatsache, dass ein freies dynamisches Verhältnis von Kopf und  ganzer Wirbelsäule  den Beginn einer konstruktiven Selbstkontrolle bedeutet. (Primary Control)

Der Orientierung an der naturgemäßen Anatomie, um dadurch Leichtigkeit und Beweglichkeit zu begünstigen (Direction)

Diese Prinzipien bilden das Zentrum seiner praktischen Lehre, die im alltäglichen Dasein ihre Anwendung findet.

Im letzten Jahrzehnt seines Lebens erschütterte Alexander ein Verleumdungsskandal, der grosses Aufsehen erregte. Sein Ausgangspunkt war Südafrika, bis wohin sich seine Methode inzwischen verbreitet hatte.
Er verlangte öffentlichen Schadensersatz gegenüber dem Schriftsteller Dr. Ernst Jokl, der durch seine Schriften über die „Physiologie des Trainings“ landesweit bekannt war, und als Direktor für Leibeserziehung in Diensten der südafrikanischen Regierung stand. Er diffamierte Alexanders Arbeit aufs heftigste als „gefährliche und unverantwortliche Quacksalberei“.

Alexander wollte der Hauptverhandlung in Südafrika selbst beiwohnen, erlitt aber zuvor im Dezember 1947 einen Schlaganfall. Obwohl die Ärzte kaum Hoffnung hatten, versetzte er sie in Erstaunen, als er bereits nach einem Monat mit klarer Hand einen Brief nach Südafrika schrieb, es ginge ihm bereits wieder besser.
Im Februar flogen drei seiner Studenten, die auch medizinisch ausgebildet waren, nach Johannesburg, um dem dortigen Gericht Beweise zu liefern.
Sie selbst agierten dabei durch ihre eigenen Geschichten aufs Überzeugendste.
Ein Monat später endete die Gerichtsverhandlung und Alexander erhielt Schadenersatz plus Kostenerstattung.
Nachdem Ernst Jokl ein Jahr später gegen dieses Urteil klagte, entschied das Gericht erneut für Alexander und stimmte seiner Argumentation noch übereinstimmender zu.
Nach sieben Jahren endete dieser Verleumdungsfall.

„Diese Geschichte von Scharfsinnigkeit, Intelligenz und Beharrlichkeit, gezeigt von einem Mann ohne medizinische Ausbildung, ist eine der wahren Heldentaten medizinischer Forschung und Praxis.“
( aus der Nobelpreisrede für Medizin u. Physiologie von Niklaas Tinberg 1973)

Die „Alexander-Technik“ hat ins  21. Jahrhundert gefunden. Ihre Wirksamkeit, ihr präventiver Nutzen ist längst erwiesen, die Ganzheitlichkeit , die  Verbindung von Körper und Geist ist beeindruckend bestätigt.

Unser Zeitalter bietet ein reichhaltiges Angebot an Wellnesspraktiken, Entspannungsmethoden für körperliche und geistige Gesundheit. In einer Gesellschaft, in der jedes Jahr mehr Arbeitstage durch stressbedingte Ursachen verloren gehen als durch andere Krankheiten, spielt die Alexander-Technik eine entscheidende Rolle.

Alexander hat sich bereits vor hundert Jahren auf einzigartige Weise mit dem Zusammenhang von Kopf, Hals und Rumpf beschäftigt, und hat dadurch eine Methode zur natürlichen inneren Aufrichtung und somit körperlicher Ausrichtung entwickelt.
Das Ergebnis war in seiner Wirksamkeit erstaunlich einfach.
Leichtigkeit und Beweglichkeit, im Einklang von Körper und Geist .

Frederik Matthias Alexander unterrichtete bis wenige Tage vor seinem Tod 1955.


„Wir können von keinem System mehr verlangen, wenn wir uns danach sehnen, das menschliche Wesen in eine wünschenswerte Richtung zu verändern“
( Aldous Huxley )